Aus dem Leben und Wirken des Siegfried Marcus

 

Siegfried Marcus, nach dem Geburtsregister der jüdischen Gemeinde Siegfried Samuel Liepmann Marcus, wurde am 18.September 1831 in Malchin geboren. Seine Eltern waren Liepmann (1790-1855) und Rosa Marcus (1796-1859). Eine in Malchin begonnene Mechanikerlehre fand in Hamburg ihren Abschluss, und in Berlin besuchte er eine Gewerbeschule.

 Anschließend war Marcus  bei Siemens & Halske in Berlin beschäftigt. Mit Werner Siemens hat er noch in seiner Wiener Zeit korrespondiert.

1852 kam Marcus nach Wien. Was ihn dazu veranlasst hat, ist nicht bekannt. Bereits Mitte der  50er Jahre wurde der junge Techniker  durch verschiedene mechanisch physikalische Entwicklungen bekannt und er erhielt ein Privileg (Patent) für einen magnetischen Induktor – ein Arbeitsgebiet, welches ihn die nächsten 30 Jahre lang immer wieder beschäftigte.

1856 gründete er sein erstes Labor. In der Mariahilferstraße 107 betrieb er seine Werkstätte zunächst als „Telegrafen - Bauanstalt“. Zu Beginn der 60er Jahre baute Marcus verschiedene elektrotechnische Geräte, u.a. eine „Thermosäule“. Das war eine Vorrichtung zur direkten Gewinnung von Elektrizität aus Wärme. Dieses und ähnliche Verfahren erwiesen sich jedoch als unwirtschaftlich und wurden nicht weiter verfolgt.

 

Von der Akademie der Wissenschaften wurde er für seine Arbeiten mit dem großen Preis von 2.500 fl. (Kaufkraft im Jahr 2000: ca. € 22.500) ausgezeichnet.

 1865 wurde ihm sein erstes Privileg für eine Erfindung zur Carbonisierung der Luft (ein Vergaser) erteilt. 1866 entstand eine verbesserte Ausführung. Der entscheidende Schritt erfolgte zu Beginn der 1880er Jahre mit der Entwicklung eines Spritzbürstenvergasers, der 1887 durch eine Benzinvorwärmung weiter verbessert wurde. Das war sein zweites wichtiges motortechnisches Entwicklungsgebiet neben den Zündvorrichtungen.

1867 erhielt Marcus die Silberne Medaille der Pariser Weltausstellung – vermutlich für einen Feldtelegraphen  – und er war damals bereits ein in Wien allgemein anerkannter Techniker. Auch der Kaiser ehrte ihn mit dem goldenen Verdienstkreuz. Die vom österreichisch Kronprinzen geschenkten Manschettenknöpfe und die Installation einer elektrische Klingel für die Kaiserin bezeugen seine Verbindung zu Kaiserhaus.

1869 erprobte das k.k. Kriegsministerium seinen magnet - elektrischen Zündapparat, bekannt als „Wiener Zünder“, der sich aber nicht gegen ein Konkurrenzprodukt durchsetzen konnte. Diese Zündvorrichtung wurde später weiter entwickelt und fand in anderer Form in den Verbrennungsmotoren von Marcus Verwendung, wo sie sich auch bewährte.

  Um 1870 baute Marcus den ersten mobilen benzinbetriebenen Motor der Welt. Seine Fahrten mit dem einfachen, handwagenartigen Fahrzeug, heute „Erster Marcus Wagen“ genannt, machten ihn zum ersten Menschen, der mit einem Benzinfahrzeug gefahren ist. Das Marcusdenkmal in Wien nennt ihn dafür „Erfinder des Automobils 1864“ (das Baujahr wurde bei Errichtung im Jahr 1932 fälschlich so angeführt).

 1887 begann die Zusammenarbeit mit Märky, Bromovsky und Schulz in Adamsthal (Mähren, heute Tschechische Republik). Bis dahin hat Marcus verschiedne verdichtungslose, direkt wirkende Zweitaktmotoren von unterschiedlichen Maschinenfabriken bauen lassen. Ab etwa 1888 folgten Viertaktmotoren. Die Zusammenarbeit dauerte bis zum Tod von Marcus. Wie viel insgesamt produziert oder verkauft wurde, ist nicht bekannt.

 Hauptsächlich beschäftigte sich Siegfried Marcus mit elektrotechnischen Fragen. Mit der „Teilung des Stromes“ griff er eines der wichtigsten Probleme der damaligen Elektrotechnik auf, nämlich die Versorgung mehrer Verbraucher durch eine Stromquelle.

1888/89 baute die Firma Märky, Bromovsky und Schulz den „Zweiten Marcus Wagen“, der Markus infolge einer 70 Jahre langen falschen Vordatierung auf 1875 weltbekannt machte.

 1890 verlegte Marcus seine „Fabrik mechanischer u. physikalischer Instrumente u. Apparate“ auf den Standort Mondscheingasse 4, unweit seiner bisherigen Werkstätte. Er hatte sich in dieser Zeit wieder auf verschiedene physikalische und elektrotechnische Apparate, wie Zünder für Bergwerke und Militärzwecke, spezialisiert.

Am 1.7.1898 starb Marcus in Wien. Seine letzten Lebensjahre hindurch litt er unter  Gesundheitsproblemen. In sein Todesjahr fällt das erste öffentliche Auftreten des Zweiten – Marcus – Wagens anlässlich einer Kollektivausstellung der Automobilbauer Österreichs auf der Kaiser – Franz – Joseph – Jubiläums – Gewerbeausstellung. Seine Verlassenschaft, einschließlich der Werkstätte, wurde mit 3.412.fl (Kaufkraft im Jahr 2000: ca. € 33.400) bewertet. Der Betrieb wurde nicht mehr weiter geführt, seine Patente verfielen rasch. Seine Erben waren seine Lebensgefährtin Eleonore Baresch und die gemeinsamen erwachsenen Töchter Maria und Rosa Maria Anna. Der Bruder von Eleonore Baresch sollte die Werkstatt erben, verzichtet aber darauf.

Marcus hat zu Lebzeiten 131 Patente in 15 damaligen Staaten angemeldet. Er hat jedoch niemals ein Patent auf ein Automobil beantragt oder erhalten und er hat auch niemals von sich behauptet, das Automobil erfunden zu haben. Er hat jedoch als erster, zu einer Zeit als in der Dampfmaschine viele die Zukunft für den mobilen Antrieb gesehen haben, Benzin als Treibstoff verwendet.

 Über seine persönliche Lebensführung ist noch wenig bekannt. Er war angeblich, wie viele Wiener des gehobenen Mittelstandes, ein begeisterter Kaffeehausbesucher und es ist nicht auszuschließen, dass der eine oder andere Gast des Cafés Gabesam, wo er regelmäßig verkehrte, auch einmal mit dem Ersten – Marcus – Wagen gefahren ist. Auch das Einkehrwirtshaus und Tanzlokal „Goldenes Kreuz“ (es besteht als Hotel unter anderem Namen noch immer) besuchte er gerne. Beide Lokalitäten befanden sich in unmittelbarer Nähe seiner Werkstätte.

 Der später zum evangelischen Glauben konvertierte Siegfried Marcus ruht in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof. Es gibt keinen in Österreich tätig gewesenen Erfinder, über dessen Leben mehr Mythen kolportiert werden, als über ihn. Auch in die Literatur hat Siegfried Marcus Eingang gefunden. Der Grazer Schriftsteller Emil Ertl hat ihn zum Vorbild für die fiktive Figur des „Spinnerichs“ in seiner Erzählung „Der Kilometerfresser“, erschienen 1927 im Buch „Geschichten aus meiner Jugend“, genommen.

In der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft wurde Marcus wegen seiner Abstammung tot geschwiegen. Sein Wagen von 1889 wurde 1950 von Alfred Buberl restauriert. Mit Gustav Goldbeck und Hans Seper begann in den frühen 1960er Jahren die wissenschaftliche Marcusforschung, die mit den Arbeiten von Ursula Bürbaumer und Horst Hardenberg ihren vorläufigen Abschluss gefunden hat.

Mit freundlicher Unterstützung von Herrn T.Gertz - Malchin 2004

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